Dienstag, 2. November 2010

Der Papa wird´s schon richten

Musikalisch waren die Fronten während meiner Kindheit in den Achtzigern noch klar: Meine Eltern gehörten wie viele ihrer Altersgenossen zu der Generation, die den ersten öffentlich-rechtlichen Radiosender in allen verfügbaren Geräten eingestellt hatten. Punkt. Dieser Fakt war genauso unumstößlich festgeschrieben wie die Tatsache, dass das Böse im Osten lauerte und man konservativ zu wählen hatte. Punkt. Und so entwickelte ich mich auch nach dem Fall der Mauer und den damit einhergehenden Veränderungen um in Stein gemeißelte Grundkonstanten herum: Während meine Eltern auf CSU-Parteitage als Delegierte wirkten, demonstrierte ich für die Freilassung der 90er-Linken-Ikone Mumia Abu-Jamal. Als ich meinen Eltern um die Jahrtausendwende herum eröffnete, dass ich mein Auslandsstudium an der Karls-Universität Prag absolvieren möchte, wurde ich mit „Denk daran, das ist ein Land, in dem ein Menschenleben nichts zählt!“ gen Osten verabschiedet. Und noch heute kann ich Bayern 1 nicht hören, ohne sofort nervös zu werden, weil ich die unterschwellig vermittelte Autorität, mit der ich dieses Programm assoziiere, nicht ohne Weiteres aushalten kann. Aber ihre Plakatwerbung ist lustig.
Ich habe diesen Sender vor allem als Bastion des Status-Quo-Erhalts und der Pflichterfüllung in Erinnerung. Erst später explodierte vor mir förmlich die Erkenntnis, dass ihren Hörern die 60er und 70er-Jahre auch eine ganze Menge Spaß gemacht haben müssen. Das Feuerwerk brannten speziell meine Eltern allerdings nicht vor meinen Augen ab.
Das Radioprogramm bei mir daheim hatte eine Redundanz, die man heute wahrscheinlich in Heimen für schwererziehbare Jugendliche eingeführt hat, um den Kindern beizubringen, wie wichtig Regeln und feste Formen sind. Bei heutigen Sendern, gerade im privaten Bereich vermute ich eine vorher verhandelte Quote, wie oft ein bestimmter Song pro Stunde, pro Tag und pro Woche gespielt werden muss, damit auch der Letzte noch versteht, welche Single gerade nach Ansicht der Plattenindustrie gekauft werden muss. Ähnlich denke ich, muss es in den Achtzigern bei Bayern 1 gewesen sein. Nur, dass sich hier meine völlig unbewiesene, subjektiv empfundene und aus der Luft gegriffene Behauptung auf die ganz großen Klassiker bezieht. Ich spreche von ebenjenen, bei denen ein Dieter Thomas Heck feuchte Augen bekommen hätte. Zum Beispiel „Der Papa wird´s schon richten“ von Peter Alexander.
Kennt jemand dieses Lied nicht? Mein Vater, nie ein Mann großer Worte aber dafür umso diffizilerer und feinerer Gesten, musste immer lächeln, wenn dieser Song gespielt wurde. Der Refrain beinhaltete die Textzeilen:“ Der Papa wird´s schon richten, der Papa macht´s schon gut, der Papa, der macht alles, was sonst keiner gerne tut ...“ Den gedanklichen Weg von Peter Alexanders Vater zu Vater Staat zu beschreiten, fällt mir gerade in diesem Augenblick bei dieser Nachrichtenlage nicht besonders schwer.
Vater Staat erhöht das Taschengeld für Hartz IV Empfänger um fünf Euro und lässt seinen Sorgenkindern gleichzeitig seine autoritäre Dominanz spüren, wenn es darum geht, für welche Dinge das Geld ausgegeben werden darf. Die Diskussion um die mögliche Erhöhung des Satzes für Alkohol und Tabakwaren von bestimmten öffentlichkeitshungrigen Vertretern des Staatsapparates ist viel bitterer als ein doch letzten Endes gut gemeintes „Aber trink nicht so viel, Kind!“ zu Beginn einer langen Club-Nacht. Es hat viel Symbolkraft, wenn eine siebenfache Mutter dem Ministerium für Arbeit und Soziales vorsteht. Denn zu Meta-Mutter Ursula können auch die großen Unternehmen jederzeit, wenn sie was angestellt haben.
Lang lebe Siemens! Vivat ThyssenKrupp! Ein Hoch auf Daimler, auf alle DAX 50, MDAX und TecDax-Unternehmen ein dreifaches „Hipp! Hipp! Hurra!“ Sie sind die Stützen der deutschen Wirtschaft, sie machen Vater Staat stolz und Mutter Ursula erzählt der Nachbarin immer mit leuchtenden Augen von ihnen. Doch, erinnert sich noch jemand an das Gefühl, das man als Kind hatte, weil die vermeintlichen Strahlekinder in Wahrheit immer besonders fies zu Anderen waren? Wie sehr man sie aus tiefster Seele hasste, weil man immer die Strafe aufgebrummt gekriegt hat, die sie selbst eigentlich absitzen mussten? Nicht erst seit meinem Jobverlust erhärtet sich in mir der Eindruck, dass hier gerade große Unternehmen in meiner Familienanalogie den Platz der gemeinen Streber-Petzen einnehmen, die nie die Abreibung bekommen haben, die sie verdient haben. Da wird nach außen hin gestrahlt und geglänzt, als ob die Erbtante zu Besuch käme, die immer besonders nette, strebsame und kluge Kinder zu sehen erwartet. Und nur wenige wagen einen ernsthaften, ehrlichen Blick hinter die Fassade. Denn da würde sich dann ein anderes Bild ergeben:
Uns Deutschen fehlt trotz guter Vorarbeit in Stuttgart oder im Wendtland immer noch das Feuer der Franzosen, wenn es um Demonstrationen geht. Deshalb gehen unsere Nachbarn wegen der geplanten Erhöhung des Rentenalters auf die Straße und wir nicht. Allerdings ist meines Erachtens nach die Klärung der Frage viel dringlicher, wie wir es in Zukunft schaffen, dass gerade die großen Konzerne nicht immer noch in großem Stil ihre Arbeitnehmer an der Grenze zum Rentenalter im großen Stil ausstellen. Oder Stichwort Fachkräftemangel: Wenn alleine die DAX-Konzerne sich endlich ernsthaft für richtig gute Ideen bei der Kinderbetreuung stark machen könnten, würde der Fachkräftemangel sehr schnell kein größeres Problem darstellen. Allen Vorreitern auf diesem Wege ein großes Lob von mir.
Loben will ich auf diesem Weg nochmal Vater Staat, bevor ich zum Ende komme. Ich werde nächste Woche eine Elternzeitvertretung in einer PR-Agentur beginnen. Dort werde ich für acht Wochen einen Vater vertreten und habe mir insgeheim in meinen finstersten Alpträumen schon einen mittelschweren, aber nötigen Papierkrieg ausgemalt. Weit gefehlt! "Rufen Sie einfach bei uns an, wenn es so weit ist.", sagte die nette, kompetente Dame der Telefon-Hotline bei der Agentur für Arbeit. Aufschwung, ich komme!