Mittwoch, 16. Juni 2010

Champagner-Feeling

Es war einer dieser Abende, die ein kleines bißchen Magie innewohnte. Ich war mit T. im Kino, der Film war unbeschreiblich schön und ich bin mit diesem flirrenden Perlwein-Gefühl im Magen in die Münchner Nacht gegangen. Während dessen habe ich mich mit T., meinem Kinobegleiter, unterhalten.
T. und ich teilen gerade mehr oder weniger unseren Beschäftigungsstatus und unsere bedingungslose Liebe zum bewegten Bild. Euphorisiert von der gemeinsam empfundenen Begeisterung für den Film, den wir gerade besucht haben, begann T. mir von seinen Film-Plänen in nächster Zukunft zu erzählen: Welche spanischen Streifen er doch in nächster Zeit gucken möchte, ob ich denn schon, ich müsste doch, und überhaupt sollte ich ... "Warum machst Du eigentlich keinen Film-Blog?" fragte ich ihn eher beiläufig aber doch so unvermittelt, dass ich ihn mitten im Satz unterbrach. Meine kleine, eher unkalkulierte Unhöflichkeit hatte große Effekte auf T.: Er schnappte kurz Luft, erzählte mir von ersten, elektronischen Gehversuchen und lächelte, als ich ihm diese Seite empfohlen habe. "Dann mach ich einen Film-Blog" waren die Worte, mit denen er sich von mir verabschiedete. T. sah so aus, als würde er sich wie Champagner fühlen, zumindest für einen ganz kurzen Moment.
Wenige Tage zuvor hatte ich A. getroffen. A. gehört zum innersten Kreis meiner besten Freunde, sie ist eine der wenigen Menschen, die ich wenn nötig mit Waffengewalt verteidigen würde, was bei einem Pazifisten wie mir, der an die Kraft des Wortes glaubt, wirklich viel bedeutet. Wir sehen uns nicht häufig, weil sie in einer anderen Stadt wohnt. Aber jedem der seltenen Besuche wohnt ein kleiner Zauber inne: Scheinbar mühelos gelingt es uns, unsere aktuellsten Erlebnisse in eindrucksvoller Resümeé-Essenz dem anderen so zu präsentieren, als wäre die Zeit, in der wir uns nicht gesehen haben, gemeinsam verlaufen. A.s Erzählungen beeindruckten mich nachhaltig, denn sie verfolgt mit einer glasklaren Zielstrebigkeit mit einem beeindruckend langen Atem gegen jede Widerstände ein aktuelles Projekt: A. will Geld für ihren nächsten Film auftreiben. Als sie mir von aktuellen Verhandlungen erzählt, sehe ich dieses Champagner-Feeling in ihren Augen.
T.s und A.s Reaktionen führen beide aus unterschiedlichen Richtungen auf die selbe Ausgangssituation hin. Beide können mit den selben Dingen inspiriert werden. Und zwar würde ich so weit gehen, zu behaupten, dass sowohl A. als auch T. im Zweifelsfall locker über sich selbst hinaus wachsen könnten. Nur A. hatte ihre Inspirationsquelle bisher zum Beruf gemacht, und auch T. hat in allerkürzester Zeit eine Kurzkritikseite mit Schulnoten angelegt, die rasend schnell wachsen wird, so gerne wie er sich mit dem Thema Film auseinandersetzt. Was die Zukunft für beide bringt, wird sich zeigen. Fest steht, dass A. und T. Freude an ihrer Beschäftigung empfinden können, was sie wiederum zu zufriedenen Menschen macht. Und darauf erhebe ich, die Chronistin, jetzt erstmal mein Glas!

Montag, 7. Juni 2010

Erwerbsbiographien und andere Schätze

Mich faszinieren einzelne Wörter. Ich kann mich an "Humbug" ergötzen, an "Sperrklausel" erfreuen und ständig finde ich neue, verbale Schätze. Mein neuestes Juwel ist "Erwerbsbiographie".
Eine große Gruppe Menschen, die ihr Selbstbewußtsein auf dem Treibsand ihrer Minderwertigkeitskomplexe gebaut haben, stellen ihr Berufsleben großspurig in so genannten CVs dar. Immer wenn ich solchen Menschen begegne, reizt es mich, sie zu fragen, ob sie wüssten, wofür die Abkürzung CV steht. Die Ausfallquote bei dieser Antwort ist wahrscheinlich erschreckend hoch. Schließlich kann ja nicht jeder von Anglizismen ("Si Wi") auf das lateinische Curriculum Vitae schließen. Dann doch lieber das hübsche, deutsche "Lebenslauf" - der Lauf des Lebens mit nur und ausschließlich erwerbsrelevanten Eckdaten auf wenigen Seiten Papier! Die erschreckende Dimension dieses Umstandes mit der ganzen Wucht ihrer Bedeutungstiefe muss man ganz langsam und mit aller Macht auf sich einwirken lassen. Hiermit plädiere ich dafür, die wichtigsten Eckdaten wie die Geburt des ersten Kindes aus dem Nicht-Erwerbsleben in einen konsequent geführten Lebenslauf aufnehmen zu dürfen!
Und hier die heutige Ausgangsfrage: Welche Bedeutung hat Erwerbsarbeit für den einzelnen Menschen? Viele, zu viele nehmen sich an dieser Stelle das Lebenslauf-Konzept zu Herzen: Das eigene Leben wird zur Anhäufung erwerbsrelevanter Eckdaten. Zu viel Zeit wird mit CV-Tuning und zu wenig mit echter Sinn-Suche verbracht. Und so kommt es, dass viel zu viele gescheiterte Lebensläufe im Alkohol, in der Depression oder im Selbstmord enden. Denn alles auf eine Karte zu setzen, geht nur im Film gut aus.
Dann doch lieber die Erwerbsbiographie. Meine Fantasie sendet mir bei diesem wunderschönen Wort folgenden Kurzfilm an mein inneres Auge:
Ich sitze, biblisch alt und mit einer sorgsam gepflegten, exzentrischen Schrulle in meinem Wohnzimmer, in dem ein überbordendes Bücherregal steht. Zwei Bücher in diesem Sammelsurium behandeln mich, denn ich habe bis dahin einen Weg gefunden, mir zwangsweise irgendeine, in Buchform gegossene Bedeutung zuzumessen. Buch eins ist meine Biographie. Früher durften nur große Menschen ab einem gewissen Alter eine Biographie verfassen. Heute gibt es schon Lebensbücher über 19jährige. Warum also soll in meinem Kurzfilm in der Zukunft auch nicht meine eigene Biographie vorkommen? Daneben steht ein Buch mit dem Aufdruck "Meine Erwerbsbiographie"; die meinen beruflichen Werdegang von den Anfängen bis zum meinem 95-jährigen Eintritt ins gesetzliche Rentenalter beschreibt. Bis dahin werde ich in meiner Fantasie übrigens die Stellung einer Art Noelle-Neumann für arme Leute in meiner Zunft eingenommen haben; eine schlechte Kopie des Originals, aber meine Kamerastatements werden lustiger.
Ich kann, werde und will heute nicht die Frage beantworten, welche Bedeutung Erwerbsarbeit für mein Leben hat. Obwohl das Fehlen derselben gut auf die Antwort hinführen könnte. Ohne Erwerbsarbeit hat man im schlechtesten Fall kein Einkommen zur Sicherung seines Lebensunterhalts. Also ist Erwerbsarbeit erstens Existenzsicherung. Aber was ist sie darüber hinaus? Ich erinnere mich noch gut, was sie bis ungefähr ins Jahr vier meiner Berufstätigen-Karriere bedeutet hat: Spaß, intellektuelle Inspiration und Erfolg. Ich spürte ein loderndes Feuer in mir und meine Anstellung war wie ein Blasebalg, der das Feuer immer und immer wieder anfachte. Schlußendlich entschied man sich dafür, dass ich zu Dingen, die ich gut und gerne hätte lernen können, nicht befähigt wäre. Meinen Platz nahm jemand ein, der ein Vielfaches mehr lernen musste. Ob er loderte, ist nicht überliefert.