Dienstag, 19. Oktober 2010

Sehr geehrter Herr Aufschwung,

mit großem Interesse habe ich erfahren, dass Sie nach Deutschland kommen. Da in den unterschiedlichen Medien Ihr Erscheinen angekündigt wurde, konnte ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen und möchte mich im Folgenden bei Ihnen umgehend als Pressesprecherin bewerben. Denn ich gehe davon aus, dass Sie eine erfahrene Fachkraft benötigen, die die unterschiedlichen Ankündigungsmeldungen für Sie koordiniert und mit größtmöglichem, positiven Effekt an die Presse bringt.
Ich bin 32 Jahre alt und seit mittlerweile über sechs Jahren im Kommunikationsgeschäft tätig. Meine Karriere als verwunderter Arbeitnehmer begann, als ich am 14. Februar 2003, dem Tag der Liebenden, meinen Universitätsabschluss erhielt. Ich hatte bisher alles so gemacht, wie es von mir erwartet wurde: Einen Einser-Abschluss innerhalb der Regelstudienzeit erreicht, sechs Praktika, interessante Nebenjobs, ein Semester an einer interessanten Universität im Ausland studiert; damals sprach ich zwei Fremdsprachen wirklich passabel, eine weitere ganz gut und hatte nebenbei die Aufnahmeprüfung zur Journalistenschule beinahe geschafft. Gleichzeitig hatten an den Aktienmärkten der Welt sich Spekulanten an der Aufgabe übernommen, wilde Internet-Firmen mit halbseidenen Konzepten blind und abenteuerlustig zu finanzieren. Aus meiner Kindheit in den Achtzigern weiß ich, dass wir in unseren Kaufläden nicht so verdammt hirnlos waren.
Im Dezember 2003, also ganze zehn Monate später, wurde ich zum ersten Mal begeistert in den Räumen einer Firma als neuer Mitarbeiter begrüßt. Ich hatte zu dem Zeitpunkt bereits unzählige Bewerbungen an die unterschiedlichen Stellen geschrieben und einmal sogar eine Absage, die an einen HERRN M. adressiert war, erhalten. Wie Sie unschwer meinem beigefügten Lebenslauf entnehmen können, bin ich weiblichen Geschlechts. Trotzdem wurde mir im beigefügten Begleitschreiben versichert, man hätte meine Unterlagen (Zitat) "eingehend geprüft". Man nahm sich kurz vor dem Nikolaustag meiner an und fügte mich einem bis heute ständig anwachsenden Heer von Zeitarbeitnehmern hinzu: Jederzeit kündbar, jederzeit anders einsetzbar, mit weniger betrieblichen Mitbestimmungsrechten als Festangestellte. Wenn ich richtig informiert bin, hat die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, bei der ich übrigens Mitglied bin, mittlerweile in vielen Bereichen diesen Mißstand beseitigt. Mein Weg führte mich zu einem großen Autobauer, den ich kommunikativ zum Beispiel mit Newslettern und an einer eigens für Zuliefererbetriebe eingerichtete Hotline dabei unterstütze, die Wareneingangssoftware seiner Werke auf SAP umzustellen. Experten mit SAP-Zertifizierung hätten mich aus Mitleid zum Kaffee eingeladen, wenn sie erfahren hätten, wieviel ich verdiene, wenn ich ihren Job teilweise mit erledige. Aber: ich habe dort gelernt, komplexe Sachzusammenhänge einfach aufzubereiten und verzweifelten Zuliefererbetrieben, die von den Einkäufern des Autobauers schon wieder das Messer auf die Brust gesetzt bekommen haben, damit sie noch billiger produzieren lassen, die Anforderungen für die SAP Software verständlich darzustellen. Aber für mich zählte: Ich war drin, ich war endlich drin.
Sechs Monate später nach der dritten Projektverlängerung, die zuerst nicht sicher war, wechselte ich zu einem Fernsehsender, wo ich nach über einem Jahr Wartezeit endlich offiziell in meine Karriere als Pressefachkraft starten konnte. Ich erhielt einen befristeten Vertrag, verdiente netto so viel wie während meiner Zeit als HiWi eines schusseligen Professors. Nur war mein Dienst an der Wissenschaft ein Teilzeitjob, der sich auf fünfzehn Stunden belief. In meinem Arbeitsvertrag für das PR-Volontariat standen vierzig Stunden. In der Praxis arbeitete ich eine ganze Menge mehr.
Dann nach zwei Jahren die Premiere! Mein Vertrag wurde um weitere zwei Jahre verlängert, was vor mir noch nie einem Volontär gelang. Wie viele Schlachten dafür geschlagen wurden, können Sie sich nicht vorstellen! Ich hatte mittlerweile eine exzellente Ausbildung absolviert, ich wusste über alle Arbeitsvorgänge in der Abteilung bestens bescheid und wurde von allen Ecken und Enden mit Arbeit überhäuft. Aber ich beschwere mich keineswegs. Vorgesetzte und Kollegen waren wirklich sehr zufrieden mit mir. Nachträglich betrachtet war das die schönste Zeit meines bisherigen Erwerbslebens.
Als der Ablauf der zweiten Zwei-Jahres-Frist immer näher rückte, wollte ich einen endlich einen unbefristeten Vertrag haben. Wie heißt es so schön? Never change a winning team. Warum sollte man nicht wenigstens über meine Bitte nachdenken? Schließlich war man ja sehr zufrieden mit mir, wie man mir immer wieder versichert hatte. Und in anderen Abteilungen konnten befristete Verträge ebenfalls in Festanstellungen umgewandelt werden. Leider war mein Vorgesetzter plötzlich gar nicht mehr zufrieden mit meiner Arbeit. "Schließlich muss es doch einen Grund geben, warum Du nicht bleiben kannst." Unsagbar gekränkt suchte ich mir einen neuen Job. Mein Vorgesetzter wurde auch bald - wie heißt es so schön? - "im gegenseitigen, freundlichen Einvernehmen." an die frische Luft gesetzt, als sein drittes Kind gerade unterwegs war. Seit seinem Weggang frage ich mich, ob ich mein Talent zum Verfluchen in irgendeiner Weise zu Geld machen kann.
Die neue Möglichkeit kam grad zur rechten Zeit: Großes, prestigeträchtiges Unternehmen, viel Geld und viele Möglichkeiten, die ich für mich dort gesehen habe. Dass ich in der Vorhölle eines Professors für Arbeitsorganisationspsychologie gelandet war, konnte ich nicht ahnen. Mein ganzes Umfeld war zum Großteil damit beschäftigt, entweder unter Ablaufdefiziten zu leiden, selbst welche zu verursachen oder Beschäftigung vorzutäuschen. Aber am schlimmsten war das Einfügen in ein anderes Raum-Zeit-Verständnis: "Schnell!" hieß nicht "in spätestens einer halben Stunde" sondern "sogar noch innerhalb dieser Woche, wenn Du Glück hast." Meine Ideen zur Ausgestaltung dieser Stelle starben einen langen und qualvollen Tod. Als ich sie zu Grabe getragen hatte, drohte man mir zum ersten Mal mit Rauswurf. Wenige Monate später war es dann soweit. Und wieder versuchte ich es mit Verfluchen und Verwünschen mit bisher unbekanntem Ergebnis.
Ich würde für die Arbeit bei Ihnen, sehr geehrter Herr Aufschwung, umfassende Qualifikationen mitbringen: Ich beherrsche die PR-Klaviatur auf Konzert-Niveau, wie ich in mittlerweile über dreißig Bewerbungsschreiben immer wieder betont habe. Und vor allem bin ich lern- und arbeitswillig wie keine Zweite. Neue Branchen kennenlernen? Auch mal Überstunden schieben, damit das Projekt fertig wird und der Kunde zufrieden ist? Sie können, verehrter Herr Aufschwung, davon ausgehen, dass ich nichts lieber täte als das. Auch Abstriche beim Jahresgehalt machen mir nichts aus. Dafür lieber glücklich, erfüllt, mit Aufgabe.
Den Rest meines Lebenslaufs zieren die üblichen Wegmarken einer qualifizierten Arbeitskraft: Weiterbildungen mindestens einmal im Jahr, Englisch wie Deutsch auf einem hohen, meiner Tätigkeit aber angemessenem Standard. Gut vernetzt in der Medienszene und auch bei den technischen Entwicklungen und Möglichkeiten im Jahr 2010 auf dem neuesten Stand.
Ich würde mich sehr freuen, Sie in einem persönlichen Gespräch zeitnah kennenzulernen. Gerne kann ich Ihnen bei Interesse Terminvorschläge unterbreiten. Im Anhang finden Sie meinen Lebenslauf und Referenzkontakte. Einstweilen verbleibe ich

Mit freundlichen Grüßen

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