Dienstag, 12. Oktober 2010

Das Leben als TO DO Liste?

Ich finde, es ist höchste Zeit, F. ein Denkmal zu setzen. Ich kenne ihn seit bestimmt zehn Jahren. Von 2004 bis 2008 haben wir ein Büro geteilt und er hat mir eine ganze Menge über den Beruf, den ich heute theoretisch ausübe, beigebracht. Nur wer F. kennt, weiß, was das bedeutet: Die richtigen Fragen und Anmerkungen zur richtigen oder auch mal zur komplett falschen Zeit. Diamantenhart geschliffene Sprachkritik. Immer auf der Suche nach den Absurditäten des Alltags (und der ist weiß Gott voll davon!). Ein Leben in Film-und TV-Universen. Und wenn er lacht, was absurderweise total hell und kichernd klingt, kommen ihm sehr schnell die Tränen. Irgendwann hatte ich beschlossen, F. mit dem chinesischen Titel "Shi Fu" zu versehen. Die deutsche Übersetzung hierfür lautet "Meister", was ich wiederum aus einem zweitklassigen Hongkong-Actionfilm weiß. Allerdings kann für F. auch nur ein zweitklassiger Hongkong-Actioner für Ehrentitel in Frage kommen. Und das ist, wenn man F. kennt, ein Kompliment.
Uns ist es gelungen, unsere Freundschaft auch nach 2008 zu pflegen. Und so saßen wir eines Abends in einem Irish Pub und lösten dort ein Pub Quiz. Das ist ein etwas absurder Brauch aus dem englisch-irischen Raum, bei dem der Wirt einer Kneipe in verschiedenen Runden Fragen beantworten lässt. Das Team mit den meisten richtigen Antworten gewinnt. Was weiß ich nicht, F. und ich haben noch nie gewonnen. Ohne F. würde ich auch hier in Deutschland an keinem Pub Quiz teilnehmen.
F. beobachtet sich und seine Umwelt zu jeder Tages- und Nachtzeit sehr ausführlich. Und so kam es zu einem sehr treffenden Kommentar zu seinem aktuellen Äußeren. F., mittlerweile Anfang vierzig, hatte schon früh fast weiße Haare bekommen. Jetzt sind sie so lang, dass er sie sich im Nacken zusammen binden kann. Diesen Umstand kommentierte er etwas ironisch mit "Na endlich werde ich mein eigenes Klischee! Ein grauer langer Zopf ist etwas, was ich in meinem Leben dringend erreichen wollte."
Schnitt, Rückblende. Einige Monate vor dieser Begebenheit war ich mit meiner Freundin C. in der Lach- und Schießgesellschaft. Dort trat der Kabarettist Claus von Wagner auf. C. und ich haben zusammen mit Claus studiert und wie viele unserer Kommilitonen hat er schon eine eindrucksvolle Karriere hingelegt: Nach unserem nicht gerade vordergründig karriereträchtigen Studium war seine Entscheidung, politischer Kabaretist zu werden, sehr sinnvoll, wie ich finde. Claus reiht sich damit in die Reihe meiner mehr oder weniger berühmten und umtriebigen Kommilitonen ein. Ich kenne Schweden-Korrespondenten und Pressesprecherinnen, weibliche Regierungsräte und Magazin-Entwickler, deren Interviews ich interessiert lese. Mehr und mehr gleichaltrige Bekannte bekommen Kinder. Und ich stehe arbeitslos mittendrin, gucke mir das Treiben kritisch an und frage mich, wie meine Komilitonen wohl an ihr Leben rangehen, wie ich das gestalten soll und ob es so etwas wie ein Geheimrezept dafür gibt.
Abi - erledigt. Studium mit Einser-Durchschnitt - fertig. Karrierestart - letztendlich habe ich einen ganz brauchbaren hingelegt. Und jetzt? Welche biographischen Pflichtstationen muss ich jetzt abarbeiten? Wird jetzt von mir erwartet, dass ich zwei schnuckelige Zwerge in die Welt setze und dann zur Kinder-und-Karriere Mutter werde? Muss ich jetzt ins Vorort-Häuschen aus der Fernsehwerbung? Oder kommt jetzt (endlich?) der große Karriere-Durchbruch? Die eigene Firma? Die Abteilungsleitung? Und was passiert, wenn man diese biographische TO DO-Liste abgearbeitet hat? Nichts mehr oder kommt dann die Belohnung für den Lebens-Fleiß? F. würde mich jetzt erstmal für eine unzulässige Anglizismus-Verwendung maßregeln und irgendwas in Richtung "TO DO-Liste? Wie würde das denn auf Deutsch heißen? Gibt es dafür überhaupt noch ein einziges deutsches Wort? " fragen.
Nein, F., mir fällt zumindest grad keines ein. Das ist auch nicht schlimm, denn ich möchte bei der Vorstellung, meine Lebensstationen abzuarbeiten, am liebsten wegrennen. Dann lieber sein eigenes Klischee werden wie F.! Ich bin neun Jahre jünger als er. Zeit, sich an die Arbeit zu machen.

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